Projektreihe SONIC LINES N´ ROOMS

 

SONIC LINES N` ROOMS ist eine Raumklanginstallations-Projektreihe des Künstlerpaares <sabine schäfer // joachim krebs>. Die erste Arbeit zu dieser Projektreihe wurde 1999 im Auftrag des Südwestrundfunk (SWR) für das international renommierte Festival für zeitgenössische Musik, die jährlich stattfindenden Donaueschinger Musiktage realisiert. Viele der verwendeten Begriffe und Inhalte des nachfolgend beschriebenen Projekts SONIC LINES N´ ROOMS basieren auf der von Joachim Krebs und Sabine Schäfer gemeinsam entwickelten Terminologie zu den Künstlerpaar-Projekten. Im Anschluß an eine kurze Beschreibung zur Struktur und Klangbewegungsästhetik des 32-gliedrigen RaumklangKörpers folgen verschiedene ästhetische Gesichtspunkte zur 32-kanaligen RaumklangKomposition. Die Ausführungen beziehen sich insbesondere auf die abrufbaren KonsistenzplanKarten zum RaumklangKörper (Karte #1) und zur RaumklangKomposition (Karte #2).

 

Der RaumklangKörper

 

Die Beschaffenheit des RaumklangKörpers ist ausschließlich durch den architektonischen Charakter des Aufführungsortes inspiriert, den Gewölbekeller der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek. Dieser Gewölbekeller ist in vier gleich große Räume untergliedert, wobei jeweils zwei Räume über Durchgänge miteinander verbunden sind. Die beiden Raumpaare sind durch einen Gang voneinander getrennt. Dieser Grundriß ergibt eine paarweise symmetrische Anordnung (vgl. Grundriß der KonsistenzplanKarte #1).

Da die beiden Künstler schon seit drei Jahren an verschiedenen gemeinsamen Projektreihen und Installationsarten bzw. -typen arbeiten, war es naheliegend einen viergliedrigen Installationskörper zu entwickeln, der – dem paarweise symmetrischen Gedanken folgend – zwei verschiedene Installationsarten miteinander verknüpft:

 

  • zwei RaumklangObjekte mit linienförmigen Lautsprecheraufbauten aus der Projektreihe SONICLINES mit umgehbaren RaumklangObjekten
  • zwei Konfigurationen aus der Reihe der begehbaren RaumklangKörper SONICROOMS, bei denen die Lautsprecher nah an den Wänden entlang plaziert sind und der Rezipient sich im Inneren eines Klangkörpers wähnt, allseits umgeben von Klang

Auf der KonsistenzplanKarte #1 ist die Anordnung der Räume - numeriert von 1 bis 4, links unten beginnend - skizziert. Je acht Lautsprecher sind in jedem Raum konfiguriert und auf dieser Karte, ihrer Anordnung nach, in jedem Sektor durchgezählt (Raum 1: Lautsprecher 1-8, Raum 2: Lautsprecher 9-16, usw.).

 

Jede der vier Raumklanginstallationen der Räume 1 bis 4 besitzt seine eigenen, spezifischen Bewegungsmodelle.

 

Die beiden RaumklangObjekte der Räume 1 und 2 sind durch Pendelbewegungen des Klangs auf den Objektlinien charakterisiert. In Raum 1 handelt es sich primär um eine paarweise* multilinear gespiegelte Pendel-Gegenbewegung und deren mannigfaltige Varianten. Raum 2 dagegen besitzt als objektspezifische Klangbewegung die paarweise multidimensional gerichtete Pendel-Auf-und Abbewegung mit Varianten. Raum 3 als Beispiel für einen begehbaren RaumklangKörper repräsentiert u.a. die paarweise rechteckige Zick-Zack-Bewegung (auf und ab) auf zwei Ebenen, während im Raum 4 der real im Raum bewegte Klang sich nur oben als elliptische Kreislinien-Bewegung etabliert.

 

Da ca. 80% der Klangmaterialien in allen Räumen synchron erklingen, läßt sich der spezifische Klangraum, den die reale Bewegung erzeugt, deutlich wahrnehmen. Der Eindruck wird durch die jeweils unterschiedliche Anordnung der Lautsprecher mit den sich daraus ergebenden, typischen realen Klangbewegungen intensiviert und ermöglicht ein akustisches Spezifisch-Werden der einzelnen Räume untereinander.


Die RaumklangKomposition

 

Zwei weitere Faktoren bilden gewissermaßen die ästhetische Grundlage für die Gestaltung der RaumklangKomposition. Zum einen generiert sich das verwendete Klangmaterial ausschließlich aus dem Bereich der natürlichen akustischen Phänomene, wodurch sich bestimmte Konsequenzen für die Klangästhetik des Stückes ergeben. Zum anderen inspirierte das Prinzip der paarweisen Symmetrie die großformelle Gestaltung der RaumklangKomposition als paarweise angeordnete Vierteiligkeit und die paarige Abfolge der Klangmaterialarten. Die KonsistenzplanKarte #2 ergänzt die nachfolgenden Ausführungen, indem die verschiedenen Themenbereiche stichwortartig in ein komplexes Netzwerk gestellt werden, das dem Betrachter eine diskursive Assoziation in unterschiedlichster Weise erlaubt. Nachfolgend nun nähere Details zu dem in SONIC LINES N´ ROOMS verwendeten Klangmaterial. In diesem Zusammenhang werden auch allgemeinere Ausführungen zu den Produktionsweisen und klangästhetischen Ansätzen des Künstlerpaares erwähnt.

 

Einziges Ausgangsklangmaterial bilden in SONIC LINES N´ ROOMS amorphe Tier-Natur-Laute und -Klänge sowie heterogene Alltagsgeräusche aus dem menschlichen Umfeld und Lebensraum. Jedoch keine Stimmlaute des Menschen direkt, wie auch auf irgendeine Art und Weise synthetisch erzeugte Klangmaterialien, die bei dieser elektroakustischen RaumklangKomposition komplett ausgeschlossen wurden.

 

Ein erster, wichtiger Arbeitsschritt bei der Komposition bildet das intensive Studium der einzelnen (vor)gefundenen und (aus)gesuchten Geräusche und Klänge. Wichtigste Frage hierbei: Welche natürlich vorhandene und welche zukünftige artifizielle Konsistenz birgt jeder einzelne Klang im zunächst unhörbaren, molekularen Innenbereich der Mikrostruktur. Die Geräusche und Klänge werden deshalb, mit dem Instrumentarium des digitalen Samplers aufgezeichnet. Bis in den kleinsten Molekularbereich stellt der Sampler dem Klangkünstler einzelne Binnenstrukturpartikel dieser Geräusch-Klangmaterie zur künstlerischen Weiterarbeit zur Verfügung.

 

Mit diesen „abstrakten Maschinen“ – um einen Begriff der französischen Philosophen Deleuze/Guattari zu zitieren - wird quasi eine von uns sogenannte „EndoSonoSkopie“ der einzelnen Klangmaterialien vorgenommen, um dem organischen Klanggewebe einzelne Klangproben (sog. Samples oder Fragmentmuster) zu entnehmen.

 

Dabei muß man wissen, daß z.B. die Frequenztranspositionen eines Fragmentmusters gleichermaßen auch eine, natürlich immer relative, Veränderung dessen Klangdimensionen auf allen anderen Ebenen gleichzeitig bewirkt. Nicht nur der Parameter Tonhöhe verändert sich, sondern auch Rhythmus und Klangfarbe weisen eine quasi mutierte Gestalt auf. Ein tiefer Transponieren dehnt die Schwingungen und wirkt wie ein AudioMikroskop, unter dem die zunächst unhörbaren Binnenstrukturen der Klänge anfangen, ihre organisch vegetativen Klangsymbiosen zu entfalten. Zuvor nicht wahrnehmbare Binnen-Polyphonien und harmonikale Klangfelder der sich eröffnenden inneren Resonanzräume werden nun hörbar. Es geschieht quasi ein Aufklappen und Veräußerlichen der „inneren Intensitäten“ des jeweiligen Klangs.

 

War dies alles eine unter quasi wissenschaftlichem Aspekt des Beobachters und Forschers durchgeführte vorbereitende Arbeit, wird es nun für den eigentlichen künstlerischen Kompositionsprozeß erst richtig interessant. Denn nun gilt es durch unterschiedlichste artifizielle Transformationen, der sorgsam bereitgestellten Klangmaterialien, eine künstlich kreierte Konsistenzbildung zu erzeugen.

 

In einem quasi akustischen Amalgamierungsprozeß werden sog. „artifizielle KlangMilieus“ geformt. D.h. eine temporär existente, spezifische Mischung von Klangsubstanzen und –Partikel bildet, in symbiotischer Mannigfaltigkeit – immer aus der Mitte heraus (mi/Mitte lieu/Ort) – durch eigendynamisch wuchernde Selbstintensivierungsschleifen (loops) dynamisch vorangetriebene KlangEnergieGefüge.

 

Das entscheidende ist jedoch, daß keinerlei Veränderung, Verarbeitung oder gar Verfremdung der einzelnen Klangsubstanzen vorgenommen wird, sondern nur die inneren Dimensionen und Perspektiven sich ändern, quasi mutieren, während die Relationen zwischen Tonhöhen, Rhythmen und Klangfarben gleich bleiben.

 

Das heißt, nicht die Klangsubstanz an sich wird verändert, sondern es ändert sich letztendlich nur die Wahrnehmungsperspektive und -dimension des Rezipienten.

 

Ein weiterer wesentlicher Aspekt dieser Frequenztranspositionen ist die Veränderung der semantischen Bedeutung des jeweiligen Klangs. War der Klang in seiner Originaltonhöhe als etwas bestimmtes identifizierbar, z.B. ein Frosch oder eine Kröte, entrückt er seinem ursprünglichen semantischen Charakter je stärker der Augmentationsfaktor ist. Man könnte auch sagen, daß die subjektive Inhaltsmaterie des Originalklangs sich zu einer entsubjektivierten Ausdrucksmaterie des transformierten Fragmentmusters entwickelt. Es bilden sich Zwischenplateaus in changierender Konsistenzbildung, zwischen konkret und abstrakt, natürlich-künstlich usw.

 

Diese artifizielle Konsistenzbildung als symbiotisch-fluoreszierendes Tier-Natur-Geräusch-Werden von Klang an sich gelingt um so mehr wie das Tier bzw. die Natur oder das Geräusch etwas „Anderes“ wird: reine Linie, reine Farbe, reiner Klang, reiner Rhythmus, reine Bewegung, reine Figur ... reiner Zustand.

 

Die KonsistenzplanKarte #2 zeigt weitere Aspekte zur 32-kanaligen Raumklangkomposition auf und stellt ein Plateau von Vernetzungsmöglichkeiten zu den oben genannten Themenkomplexen her.

 

* Der Begriff „paarweise“ meint hier u.a. auch die beiden Kanäle der Stereoklangschichten.

 

Zurück