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Publikation im Rahmen der Buch-Veröffentlichung:

 

TopoSonic Arts 1997-2006

 

Kehrer Verlag, Heidelberg 2007

 

Dr. Hanno Ehrler

 

Das Unhörbare hörbar machen…

 

 

Raumklang ist der zentrale Begriff im Schaffen des Künstlerpaars <sabine schäfer // joachim krebs>. Alle Stücke, die die beiden Komponisten realisieren, haben mit dem Verhalten des Klangs im Raum zu tun. Kehrt man das Wort zu „Klangraum“ um, scheinen weitere wesentliche Aspekte der gemeinsamen Arbeit auf. Sabine Schäfer und Joachim Krebs lassen beim Komponieren Klangräume im doppelten Sinn des Wortes entstehen. So interessieren sie sich für die inneren, verborgenen Bereiche von komplexen Sounds. Und sie komponieren dreidimensionale akustische Gestalten, die in Wechselwirkung mit dem jeweiligen Raum treten, sei es ein Konzertsaal, ein Museum oder auch ein Areal im Freien.

 

 

Die dreidimensionalen Gestalten sind Klangwelten, die über ein Netzwerk von Lautsprechern im Raum frei positioniert werden können. Außerdem lassen sich die akustischen Bestandteile einer Komposition mehr oder weniger gut im Raum bewegen. „Es entsteht dadurch ein Klang-Körper, über welchen die Musik in verschiedenen Bewegungszuständen erklingt“, schreibt Sabine Schäfer. Diese Zustände, die aus der Platzierung und Dynamisierung des Klangs resultieren, sind wesentliche Elemente der Stücke und tragen innerhalb des kompositorischen Konzepts bestimmte Bedeutungen. Bis Mitte der 90er Jahre komponierte Sabine Schäfer solche präzise im Raum platzierten dynamischen Stücke unter dem Titel „TopoPhonien“. Seit 1998, seit die Komponistin mit Joachim Krebs zusammenarbeitet, erscheint die Idee von Raumklang jedoch in modifizierter Form. Rein äußerlich kommt es nicht mehr so sehr auf die exakte Platzierung und Ortung von Klangelementen im Raum an. Viel eher geht es um das Füllen eines Raums mit Klang. Er wird dann immer noch dreidimensional erlebt, weniger aber als ein in die drei Vektoren des Raums ausdifferenziertes Gebilde, sondern als etwas Gesamtes.

 

 

 

Darüber hinaus beschäftigt sich das Künstlerpaar mit den „inneren Klangräumen“, die nach außen gekehrt und erfahrbar gemacht werden. Das Verfahren dazu, das Joachim Krebs entwickelt hat, basiert auf der seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts existierenden digitalen Audiotechnologie mit den Instrumenten Sampler und Computer. Joachim Krebs spricht von „Audio-Mikroskopierung“ oder „EndoSonoSkopie“. In Analogie zum optischen Mikroskop werden die Klänge durch Dehnung in der Zeit vergrößert. Da die Verlangsamung des Tempos mit einer Tieftransponierung der Tonhöhen einhergeht, werden bisher unhörbare Elemente des Klangs hörbar, etwa Frequenzen einer Insektenstimme, die für das menschliche Ohr zu hoch sind; mikroskopiert jedoch rutschen die Töne in den menschlichen Wahrnehmungsbereich. Außerdem können plötzlich Rhythmen oder Melodien erscheinen, die zuvor zu schnell gewesen sind, um sie zu erkennen.

 

 

Die mit diesem Material komponierten Stücke, die Joachim Krebs „Artificial Soundscapes“ nennt, folgen dem Impetus, eine Klangkunst jenseits traditioneller Kategorien wie „autonomes Kunstwerk“, „Geräuschcollage“, „Soundesign“ oder „ambient music“ zu etablieren. Zusammen mit den „TopoPhonien“ von Sabine Schäfer sind sie die Grundlage für das Gesamtprojekt „TopoSonic Arts“, das das Künstlerpaar seit 1998 entwickelt und auf dessen Basis bisher über 30 gemeinsame Raumklangkompositionen entstanden sind.

 

 

Der Fokus des Projekts liegt auf Klängen aus der Natur, von Tieren und von Menschen. In der Tradition der musique concrète werden diese aufgenommen beziehungsweise gesampelt und stehen dann für die künstlerische Arbeit zur Verfügung. Schon diese Materialauswahl ist ein zentraler ästhetischer Aspekt des Künstlerpaar-Projekts „TopoSonic Arts“. Wegen der evolutionären Entwicklungsgeschichte des Menschen und seiner biologischen Eingebundenheit in die Natur berührt dieses Klangmaterial tiefe Schichten einer Urerfahrung und wird quasi instinktiv verstanden – verstanden in dem Sinn, dass das Gehörte aus der alltäglichen und nicht-künstlerischen Welterfahrung heraus mit einer Bedeutung belegt ist. Naturklänge tragen einen inhärenten Verweis auf Außermusikalisches in sich; eine Insekten- oder Vogelstimme erkennt man sofort als solche.

 

 

So sind die Naturklänge im Verständnis des Künstlerpaars jenseits musikalischer Traditionen angesiedelt und unterscheiden sich dadurch fundamental von den üblichen „musikalischen“, vom Menschen erzeugten Klängen, seien es instrumentale oder elektronische. Sie entziehen sich musikalischen Traditionen, einer musikgeschichtlichen Eingebundenheit, die jedem anderen Klangmaterial anhaftet. Sabine Schäfer und Joachim Krebs schreiben den Naturklängen einen „über alle politisch-kulturellen Grenzen hinausweisenden, universellen Charakter“ zu. Um diesen Charakter bei der künstlerischen Arbeit zu erhalten, versuchen die beiden Komponisten möglichst wenig in die Naturklänge einzugreifen, sie nicht zu manipulieren, sie selbst sprechen zu lassen.

 

 

Die technischen Verfahren, denen sie das Material unterziehen, bezeichnen sie daher auch nicht als Bearbeitung, sondern verwenden andere Begriffe. Sie „molekularisieren“ die Klänge durch zeitliche Dehnung und Tieftransponierung; sie „fragmentarisieren“ sie, indem sie kleine Stücke aus den zeitlich gedehnten Klängen ausschneiden und in Wiederholungsschleifen setzen; und sie „elementarisieren“ sie durch Abschwächung oder Intensivierung bestimmter Parameter, einerseits, um Störendes zu eliminieren, andererseits um die wesentlichen Aspekte eines Klangs transparenter zu machen. In Analogie zum Optischen handelt es sich dabei um eine Vergrößerung und ein Scharfstellen ohne eine prinzipielle Veränderung des Ausgangsmaterials.

 

 

Von besonderer Bedeutung sind dabei die inneren Klangräume, die sich bei der Mikroskopierung, bei der „Audio-Slowmotion“ öffnen. Jedes einzelne Klangelement hat einen Ein- und Ausschwingvorgang und ein bestimmtes Hallverhalten, das nun vergrößert und intensiviert erscheint. Es repräsentiert das in einer Insekten- oder Vogelstimme enthaltene Ambiente, die Atmosphäre, in die die Stimme eingebunden ist. Diese Atmosphären sind nun, wie auch alle anderen vergrößerten und scharfgestellten Klangschnipsel, die Elemente des eigentlichen Kompositionsprozesses. Sie fungieren als Materialbausteine, die Sabine Schäfer und Joachim Krebs kombinieren und schichten und zu von den Komponisten „RaumklangMilieus“ genannten Gestalten fügen. Diese können dann im jeweiligen Aufführungsraum dreidimensional aufgespannt werden.

 

 

Der Name „TopoSonic Spheres“ (Titel eines Raumklangkunstprojektes, an dem das Künstlerpaar seit 2004 arbeitet) enthält den Begriff der Sphäre, der im Englischen auch Wirkungsbereich, Kugel oder Gewölbe bedeutet. Diese semantischen Felder weisen auf den abgegrenzten, für das Hören reservierten Raum, den das Künstlerpaar mit seinen Raumklangkompositionen schaffen möchte. Denn vor allem auf das Hören kommt es Sabine Schäfer und Joachim Krebs an. Bei ihrer Klangkunst legen sie das Gewicht ganz auf Klang und versuchen den (außerklanglichen) Kunst-Aspekt soweit wie möglich in den Hintergrund zu drängen. Die optischen und architektonischen Aspekte der Räumlichkeiten, in denen sie ihre Stücke realisieren, dienen hauptsächlich dazu, eine Raumsituation zu schaffen, die ein ungestörtes, konzentriertes und aufmerksames Hören erlaubt.

 

 

In neuerer Zeit entwarf das Künstlerpaar so genannte „Audio-Biosphären“, Klangräume, die die beiden Komponisten als „Lebensräume für Klänge“ bezeichnen. Diese „Audio- Biosphären“ sind künstlerisch musikalische Produkte, zugleich aber auch Beiträge zu einer Klang-Ökologie, die sich mit gesellschaftlichen und politischen Problemen von Klang in der Umwelt beschäftigt. Sabine Schäfer und Joachim Krebs ist dieser außermusikalische Aspekt ihrer Arbeit sehr wichtig. Schließlich spiegelt er sich auch im Klang selbst. In ihren Hörräumen blenden die beiden Komponisten die von Lärm und Krach durchsetzte Außenwelt aus. Sie entfalten ein Klangmaterial, das sich von dem, was man gewöhnlich in der menschlichen Umwelt hört – Autos, Motoren, Maschinen, Handys, Musikanlagen – ganz grundsätzlich unterscheidet. So kann man zum Beispiel ganz unmittelbar erfahren, dass Naturklänge in unserer technisierten Zivilisation eine immer seltener zu erlebende Mangelware sind.

 

 

Dem Künstlerpaar geht es um eine Sensibilisierung des Hörens für diese rar gewordene Klangwelt. Das Erleben einer Raumklangkomposition von Sabine Schäfer und Joachim Krebs könnte dazu beitragen, sich ganz allgemein mit ökologischen Fragen zu beschäftigen. Diese sind, wie die dem Klimabericht folgende Flut an politischen Diskussionen und medialen Berichten dokumentiert, stets auch politische Fragen und in Hinblick auf die grassierende Zerstörung der Biosphäre unseres Planeten durch den Menschen hochbrisant.

 

 

Hanno Ehrler, Juni 2007

 

 

© Hanno Ehrler


Abdruck, Vervielfältigung und Weiterverwendung, auch in Teilen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors (hanno.ehrler@gmx.de)


Dr. Hanno Ehrler, Studium der Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Ethnologie in Mainz, als freier Journalist tätig u. a. bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und der ARD (Themen: zeitgenössische Musik, Science-Fiction, moderne Technologien). www.hanno-ehrler.de

 

 

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