publiziert in: "TopoSonic Spheres - eine RaumklangKomposition"
Booklet-Text zur CD/DVD-Veröffentlichung bei WERGO / artist.cd, September 2004



<sabine schäfer // joachim krebs>

TopoSonic Spheres
- eine RaumklangKomposition

 


I. Die RaumklangMaterialien (Rk-Materialien)

Ausschließlich Aufnahmen natürlicher Geräusche und Klänge bilden das Grund- und Ausgangsmaterial dieser Rk-Komposition.
Den, allen Künstlerpaar-Werken seit 1998 - beginnend mit dem RaumklangMandala " AquaAngelusVox"1) -, zugrunde liegenden drei Basiskategorien von Material-Ressourcen "Natur - Tier - Mensch" folgend, kristallisierten sich, für dieses Werk spezifisch, drei unterschiedliche Grundtypen von Rk-Materialien heraus:

Tier-Natur-Atmosphären (9 Rk-Milieus): Insekten, Amphibien, Vögel, Menschenaffen; Luft, Wasser, Regen- und Urwald, Sumpf- und Moorlandschaft, Wüste

Insektenstimmen (9 Rk-Milieus): Schrecken, Grillen, Fliegen, Käfer

Metallklinger (3 Rk-Milieus): ausschließlich von Menschen auf/mit unterschiedlichsten Metallen erzeugte Roll-, Reibe-, Pfeif- und Quietschgeräusche

Neben dem inneren Reichtum und der lebendigen Vielfalt der "(vor)gefundenen" und zunächst noch amorph-heterogenen Rk-Grundmaterialien, ist die Tatsache von entscheidender Bedeutung, daß alle akustischen Parameter, wie Rhythmus, Frequenz, Dynamik, Räumlichkeit und Klangfarbe z.B. der Tierstimmen ausschließlich durch Bewegungen oder Tätigkeiten geprägt werden, welche diese u.a. zur Arterhaltung, Nahrungssuche oder Territoriumsmarkierung erzeugen, oder, wie im Falle der Naturgeräusche, durch klimatische Verhältnisse, landschaftliche Umgebung und Vegetation.

Dies führt - vor allem auch durch den nachfolgend beschriebenen originären Prozeß der optimierten Materialerschließung durch eine Raum- und Klangmikroskopierung (von uns "EndoSonoSkopie" genannt) - zu einem enormen Zuwachs an, in der Tat, "neu"-artigen Grund- und Ausgangsmaterialien, welcher erst mit Hilfe neuester Computertechnologie (Sampling-Technik), und jenseits der natürlicherweise subjektiv begrenzten, menschlichen Vorstellungskraft, realisierbar wird.

Auch sind es die, über alle politisch-kulturellen Grenzen hinausweisenden, universellen Bedeutungen und Charaktere, der jedermann alltäglich schon bekannten und oft vertrauten Klänge und Geräusche natürlichen Urspungs, die dem Zuhörer - trotz des experimentell-avantgardistischen Grundansatzes - einen spontanen Zugang zum eigentlichen Rk-Kunstwerk ermöglichen, ohne bestimmte kulturelle Vorgaben, Geprägtheiten und Vorkenntnisse.



II. Die RaumklangMikroskopierung (Rk-Mikroskopierung) / EndoSonoSkopie

Würde man Paul Klee´s bekannten, 1920 formulierten, und nur auf den ersten Blick eher wissenschaftlich denn künstlerisch anmutenden Ansatz, vom "Visuellen" ins "Auditive" übertragen, würde er folgendermaßen lauten:
"(Klang-)Kunst gibt nicht das Sichtbare (Hörbare) wieder, sondern macht sichtbar (hörbar)."

Folgt man nun u.a. dieser Maxime, stellt sich die Frage: "Wie kann man das Material, die einzelnen noch amorph-heterogenen Rk-Elemente, gegen- wie wechselseitig, eigendynamisch und quasi "in sich selbst" und "im anderen" konsolidieren, und die gegenwärtig schon natürlich vorhandene, sowie die zukünftige, vom Rk-Künstler - immer vom Material ausgehend - artifiziell "komponierbare" Konsistenzfähigkeit intensivieren, damit die nach künstlerischen Kriterien selektierten Rk-Komponenten, zuvor unsichtbare, unhörbare - ja - undenkbare Kräfte und Energien einfangen, oder diese, aus ihrer eigenen Mitte, aus dem Innern der Mikrodimensionen der akustischen Räume, Klänge und Geräusche heraus, selbst generieren und entfalten können?"
Der erste, wichtige Schritt zur Beantwortung dieser komplexen Fragestellung repräsentiert sich im und durch einen akustischen Transformations-Prozeß:der Auflösung der (nicht)klanglichen, nur konkreten Inhalts- und Bedeutungsmaterie und ihrer Umwandlung, in eine rein klangliche, nicht nur abstrakte, "entsubjektivierte Ausdrucksmaterie".
(Deleuze/Guattari) 2)

Fig. 1: Haftlappen am Fuß einer Schwebfliege REM 220:1, © Jürgen Berger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie Tübingen
Mit Hilfe digitaler Klangprozessoren (Sampler) und der computergestützten Sampling-Technik, kann diese "Audio-Metamorphose" vor allem mit folgenden drei Produktionsverfahren gelingen:
- der Rk-Molekularisierung mit "Hörbarmachung" von vormals "Unhörbarem" durch akustische Raum- und Klangmikroskopierung und anschließender Analyse der akustisch-molekularen Binnenstrukturen
- der Rk-Fragmentarisierung mit anschließender, artifizieller Bildung von Selbstintensivierungsschleifen (Loops/Warps) zur Veräußerlichung der eigenen, inneren Intensitäten
- der Rk-Elementarisierung mit anschließender, artifizieller Konsistenzbildung durch Schaffung temporär-spezifischer Vermischungen, in "Form" von einzelnen Rk-Milieus.

Die Klangeigenschaften, welche vor allem für die artifizielle Konsistenzbildung von großer Bedeutung sind, bleiben für das bloße Ohr oft im Verborgenen, da sie z.B. jenseits der menschlichen, frequenten Hörgrenze liegen, oder eine zu schnelle Rhythmusfolge bzw. zu hohe Impulsdichte besitzen. Hier leistet das Verfahren der Rk-Mikroskopierung, mittels des Instrumentariums des Samplers als "Audio-Mikroskop", große Dienste, um zuvor "Nicht-Hörbares", aber schon Vorhandenes, hörbar zu machen

Fig. 2 Krallenglied am Bein einer Taufliege REM 1.700:1 © Jürgen Berger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie Tübingen Wie bei der reproduzierten REM-Aufnahme eines Fliegenbeins (Fig.1+2), dessen Erkennbarkeit ("Was ist das?") - ähnlich wie bei einem Bilderrätsel - um so mehr schwindet, je kleiner der Ausschnitt ("Fragmentmuster") und je höher der Vergrößerungsfaktor der Audio-Mikroskopierung gewählt werden, wird die "konkrete Inhaltsmaterie" immer mehr aufgelöst und in eine "abstrakte Ausdrucksmaterie" umgewandelt. Jedoch nicht vollständig, damit sich in der Vorstellung eines jeden Hörers, auch jenseits von (außer)musikalischen Bedeutungen und Inhalten, in einer "ZwischenZone", individuell, audio-inspirierte Imaginationen entfalten können, in permanenter Fluktuation zwischen(!) "purer" Natürlichkeit und "reiner" Abstraktion. Dies gelingt um so mehr, als die Tierstimme, das Naturgeräusch oder der Metallklang auch etwas "Anderes" wird: "reine" Linie, "reiner" Raum, "reine" Farbe, "reiner" Klang, "reiner" Rhythmus, "reine" Bewegung...."reiner" Zustand.


III. Die RaumklangKomposition (Rk-Komposition)

Nach der Auswahl und der Hörbarmachung mit anschließender differenzierter Analyse der einzelnen Rk-Partikel, wird der Prozeß der Bereitstellung der gesamten und für die künstlerische Weiterarbeit zur Verfügung stehenden Audio-Materialien, mit dem Verfahren der Rk-Elementarisierung abgeschlossen. Diese manifestiert sich in einer künstlich herbeigeführten "Intensivierungs- und Aufbereitungsphase", durch die, mittels selektiv-partieller Verstärkung, Abschwächung oder gar Löschung einzelner Parameterwerte, die Transparenz und räumliche Präsenz der einzelnen Rk-Elemente deutlich erhöht wird.

Nun kann der Rk-Künstler nicht mehr nur mit bloß summierten - und dadurch kompliziert-chaotischen statt komplex-transparenten - Rk-Materialien weiterarbeiten, sondern mit universell vereinfachten, und aus der üppigen Vielfalt der natürlichen Klänge und Geräusche kreativ selektierten, begrenzten und intensivierten Rk-Elementen und -Komponenten. Dabei behält er nur die elementarsten, akustischen Präsenzen der Linien, Räume, Bewegungen, Dauern, Farben und Geschwindigkeiten der veräußerlichten, inneren akustischen Intensitäten bei und löst sie heraus, um mit sich fortsetzenden Vermischungen und Überlagerungen, natürlich und künstlich konsistente Rk-Milieus zu kreieren.

Eine große Rolle für die Bildung dieser artifiziell kreierten Rk-Milieus spielt u.a. die Evokation ("Hervorrufung") der "expressiven Eigenschaften" (z.B. Expressiv-Werden des Rhythmus: "Der Dauer, den Bewegungen und Geschwindigkeiten, eine Farbe, einen Ausdruck, einen Klang geben!"). Diese "expressiven Qualitäten" können wiederum, ohne den Zwang eines von außen künstlich übergestülpten, mechanisch-gleichmäßigen Pulses oder gar eines linear-dramaturgischen Formverlaufs - von innen - immer aus ihrer jeweils eigenen Mitte heraus, in sich stimmige und weit über die menschliche Logik und Vorstellungskraft hinausgehende, Gliederungssysteme bilden und entwickeln. Mit ihren unterschwelligen Vibrationen und indirekten Wechselwirkungen - und dank, ihres nicht-linearen Charakters "korrespondierender Raum- und Klangmoleküle" - entstehen so, mit- und untereinander, eigendynamisch und intern bewegliche, variable Verhältnisse und Konsistenzen.

Es geht also nicht mehr darum, der Materie eine Form aufzuzwingen oder zu entwickeln, sondern "Arten des Werdens" von veräußerlichten, inneren Intensitäten und entsubjektivierten Affekten zu erzeugen. Form(en) sollte(n) sich auflösen, um z.B. winzigste Geschwindigkeitsvariationen zwischen zusammengesetzten ("komponierten") Räumlichkeiten und schnellen < = > langsamen Bewegungen bis hin zur Ruhe hörbar zu machen.

Die vom Rk-Künstler artifiziell kreierte RaumklangLandschaft, erscheint somit als ein Ensemble von entsubjektivierten Ausdrucksmaterien in einer nach allen Richtungen hin geschichteten Raum- und KlangMatrix der "zeitlich"-horizontalen und rhythmisch-melodischen RaumklangFigur und dem "räumlich"-vertikalen und resonanz-harmonischen RaumklangGefüge.

© 2004 <sabine schäfer // joachim krebs>

Bildnachweis:
Fig.1: Haftlappen am Fuß einer Schwebfliege REM 220:1
Fig.2: Krallenglied am Bein einer Taufliege REM 1.700:1
© Jürgen Berger, Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie Tübingen

1) "AquaAngelusVox - Ein RaumklangMandala mit Hildegard von Bingen" 1998/2003
erschienen als DVD/CD 2004 bei MDG 924 1254-5

2) Das französische Philosophen-Paar Deleuze/Guattari übrigens, inspiriert schon seit langem, mit seinen "Gedanken-Rhizomen" und Schriften, unsere künstlerischen Arbeiten auf eine grundlegende und nachhaltige Art, z.B.: Joachim Krebs, "Rhizom II" (1982) erschienen bei Wergo, Ed. Zeitgenössische Musik (WER 6526-2) / Sabine Schäfer, "TopoPhonicPlateaus" (1995) col legno, "Donaueschinger Musiktage 1995" (WWE 31898) / <sabine schäfer // joachim krebs>, "Sonic Lines n´Rooms" (1999) Wergo, "Klangkunst in Deutschland" (CD-ROM, T 5150).